Voneinander lernen
- Samstag, 20. Juli 2024 @ 14:59
Ein Diskussionsbeitrag von Ewald Magnes (36)
Seit dem Jahr 2009 sollen wir an jedem 29. April einen „Europäischen Tag der Solidarität zwischen den Generationen“ zelebrieren.
Eine seltsam-bürokratische Form, von der ich als Angesprochener noch dazu bis heuer gar nichts wusste: Verordnete Kalendertage sind bekanntlich primär geduldige Symbolpolitik. Sie tun niemandem weh.
Wie die gesellschaftliche Praxis aussieht, hatte Renate Pacher aus Knittelfeld in einem Kommentar über den Oktoberstreik 1950, vor 14 Jahren, so formuliert:
„In Frankreich gehen Jung und Alt gemeinsam gegen die Pensionspläne der Regierung auf die Straße, weil beide Gruppen wissen, dass sie ansonsten alle verlieren. Bei uns fordern Jugendverbände die Pensionen zu kürzen.“
Das tut weh: Sind Österreichs Jugend und Pensionistinnen antagonistisches Katz und Maus?
Tatsächlich gibt es in der Politik über alle Parteien hinweg Tendenzen, sich entlang der Generationen in eigenen Organisationen ein Stück weit abzuschotten. Das ist im Sinne des menschlichen Wohlbefindens und sozialer Interessen verständlich. Doch es birgt politische Gefahren: Wir reden zuviel übereinander statt miteinander. Wir übersehen Potential für Synergien und Lernen. Wir verfestigen Vorurteile und bleiben in der Wohlfühlzone.
Die Generationen haben ein generalisierendes und tilgendes Zerrbild voneinander: Große Interessensgegensätze verlaufen zwischen oben und unten, nicht zwischen den Alterskohorten. Das gilt, wenn gesellschaftliche Solidarität im Blick bleibt und nicht nur zynisches, persönliches Eigeninteresse. Egal wie alt: Mensch bleibt Mensch. Wir brauchen besser strukturierte, konkrete Räume, um voneinander zu lernen und miteinander Politik für die große Mehrheit der Bevölkerung zu machen. Wenn Parteien es zulassen, können sie einen solchen Raum bilden und dies politisch nach außen stärker zeigen: Zum Beispiel durch gemeinsame Protestaktionen von Generationenverbänden unterschiedlicher Altersgruppen.
Woher kommt die kulturelle Skepsis im Erleben?
Als ich im Jahr 2005 volljährig wurde, hatte ich stets das subtile Gefühl einer zu späten Geburt. Da wusste ich noch nichts von Birgit Mahnkopfs Worten über die Prekarisierung der Arbeitswelt. Auch nicht von Elmar Altvaters Beschreibung eines Ende des staatskapitalistischen Systems, wie wir es im politischen Westeuropa bisher kannten. Es gab noch keine erwachsene Generation Z (Geburtsjahre 1996 bis 2012). Ich hatte aber in der sozialdemokratisch geprägten Obersteiermark die großteils erfolglosen Proteste gegen Pensionskürzungen, den Ausverkauf des öffentlichen Eigentums und die Kapitalisierung der Abfertigungen erlebt.
Instinktiv war zu spüren: Meine Generation Y (1980 bis 1995) hat in ihrem Leben ein Stück Planungssicherheit verloren. Viele in meinem Alter haben subtile Gefühle zwischen Ohnmacht und Wut, denn wie konnten die Älteren diese Verschlechterungen politisch zulassen und gleichzeitig Kinder in die Welt setzen? Sahen sie nicht, was in den Bildungseinrichtungen, Betrieben, Gemeinden und der Welt um all das herum passierte?
Handel, Pflege, Sozialberufe, Journalismus, Bauwirtschaft, Callcenter, Agenturen, Universitäten – überall fand meine Generation neu entstandene schlecht(er) bezahlte, oft befristete Jobs. Gleichzeitig wurde sozialpolitisch vieles erschwert. Das kollektive Empfinden: Es wurde erstmals wieder schlechter statt besser, obwohl die Gesellschaft insgesamt immer reicher geworden war. Die neuen Erfahrungen unterschieden sich von den Erzählungen unserer Eltern über deren eigene Jugend. Auch ich hatte irgendwann bundespolitisch resigniert, wodurch die Generation Z teilweise noch absurdere Bedingungen als meine Generation Y vorfinden musste. Wir hatten selbst zu viel zugeschaut.
Die Saat aus alter Salamitaktik ging auf – nur eines der vielen Beispiele: Durch Ausgliederung und Leiharbeit wurde der Flucht aus guten Kollektivverträgen Tür und Tor geöffnet. Gewerkschaftliche Organisation beschränkte sich auf Abwehrkämpfe: Bisherige Beschäftigte behielten ihre Rechte auf bestimmte Zeit und hofften die Pension noch unbeschadet zu erreichen. Wer neu in den Betrieb eintrat, fühlte sich zu Recht bestraft – während die ältere, noch berufstätige Generation für den Erhalt ihrer Positionen und Pensionen diszipliniert und großteils politisch brav blieb. Was für die herrschenden Interessensvertreter sozial verträglich klang, wurde zum Kern der Entsolidarisierung und zum Bumerang von Neid und Missgunst zwischen Generationen.
Endergebnis? Nur vermeintliches Zuckerbrot für die einen, die kalte Peitsche für meine Generation. Teile nicht und herrsche für die Generation Z. Solidarität für niemanden, schon gar nicht zwischen den Generationen. Zu schwarz gemalt? Vielleicht. Es gibt Ausnahmen, die den Mainstream, die große Tendenz, für manche in ihrer Analyse erfolgreich verschleiern.
Muss die Welt bleiben, wie sie ist?
Soziale Praxis kann die Trugbilder entnarren und die Generationen verbinden. Das setzt voraus, dass wir uns für Ungerechtigkeiten interessieren, von denen wir nur mittelbar betroffen sind. Es gibt Betroffenheiten, die wir aus Fatalismus heraus nicht wahrnehmen: Viele Forderungen des ZVPÖ zur Verbesserung der sozialen Lage sind für jüngere Generationen höchst relevant. Es ist ein riesiger Unterschied, ob die besten 15 Jahre oder eine lebenslange Durchrechnung für die Pensionshöhe herangezogen wird. Ganz unabhängig vom Geschlecht und bisherigem Lebensalter.
In meiner und der nachfolgenden Generation ist Zynismus weit verbreitet: Viele haben aufgegeben, sich damit zu beschäftigen was in dreißig oder vierzig Jahren sein wird. Wenn der Menschheit das Beste noch bevorsteht, wie es der Optimist Kay-Michael Dankl einmal formulierte, werden aber auch die Generation Y und Z eines Tages vor ihrer Pensionierung stehen. Alleine schon deshalb ist es in unser aller Interesse die Arbeit des ZVPÖ aus vollstem Herzen zu unterstützen. Vielen Dank für euren Einsatz.
Ewald Magnes (36) ist ein als Erwachsenentrainer in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätiger Sozialwissenschaftler mit Theorie- und Praxiserfahrung in der betrieblichen Interessensvertretung, der bei einschlägigen Themen mit dem ZVPÖ zusammenarbeitet.
Seit dem Jahr 2009 sollen wir an jedem 29. April einen „Europäischen Tag der Solidarität zwischen den Generationen“ zelebrieren.
Eine seltsam-bürokratische Form, von der ich als Angesprochener noch dazu bis heuer gar nichts wusste: Verordnete Kalendertage sind bekanntlich primär geduldige Symbolpolitik. Sie tun niemandem weh.
Wie die gesellschaftliche Praxis aussieht, hatte Renate Pacher aus Knittelfeld in einem Kommentar über den Oktoberstreik 1950, vor 14 Jahren, so formuliert:
„In Frankreich gehen Jung und Alt gemeinsam gegen die Pensionspläne der Regierung auf die Straße, weil beide Gruppen wissen, dass sie ansonsten alle verlieren. Bei uns fordern Jugendverbände die Pensionen zu kürzen.“
Das tut weh: Sind Österreichs Jugend und Pensionistinnen antagonistisches Katz und Maus?
Tatsächlich gibt es in der Politik über alle Parteien hinweg Tendenzen, sich entlang der Generationen in eigenen Organisationen ein Stück weit abzuschotten. Das ist im Sinne des menschlichen Wohlbefindens und sozialer Interessen verständlich. Doch es birgt politische Gefahren: Wir reden zuviel übereinander statt miteinander. Wir übersehen Potential für Synergien und Lernen. Wir verfestigen Vorurteile und bleiben in der Wohlfühlzone.
Die Generationen haben ein generalisierendes und tilgendes Zerrbild voneinander: Große Interessensgegensätze verlaufen zwischen oben und unten, nicht zwischen den Alterskohorten. Das gilt, wenn gesellschaftliche Solidarität im Blick bleibt und nicht nur zynisches, persönliches Eigeninteresse. Egal wie alt: Mensch bleibt Mensch. Wir brauchen besser strukturierte, konkrete Räume, um voneinander zu lernen und miteinander Politik für die große Mehrheit der Bevölkerung zu machen. Wenn Parteien es zulassen, können sie einen solchen Raum bilden und dies politisch nach außen stärker zeigen: Zum Beispiel durch gemeinsame Protestaktionen von Generationenverbänden unterschiedlicher Altersgruppen.
Woher kommt die kulturelle Skepsis im Erleben?
Als ich im Jahr 2005 volljährig wurde, hatte ich stets das subtile Gefühl einer zu späten Geburt. Da wusste ich noch nichts von Birgit Mahnkopfs Worten über die Prekarisierung der Arbeitswelt. Auch nicht von Elmar Altvaters Beschreibung eines Ende des staatskapitalistischen Systems, wie wir es im politischen Westeuropa bisher kannten. Es gab noch keine erwachsene Generation Z (Geburtsjahre 1996 bis 2012). Ich hatte aber in der sozialdemokratisch geprägten Obersteiermark die großteils erfolglosen Proteste gegen Pensionskürzungen, den Ausverkauf des öffentlichen Eigentums und die Kapitalisierung der Abfertigungen erlebt.
Instinktiv war zu spüren: Meine Generation Y (1980 bis 1995) hat in ihrem Leben ein Stück Planungssicherheit verloren. Viele in meinem Alter haben subtile Gefühle zwischen Ohnmacht und Wut, denn wie konnten die Älteren diese Verschlechterungen politisch zulassen und gleichzeitig Kinder in die Welt setzen? Sahen sie nicht, was in den Bildungseinrichtungen, Betrieben, Gemeinden und der Welt um all das herum passierte?
Handel, Pflege, Sozialberufe, Journalismus, Bauwirtschaft, Callcenter, Agenturen, Universitäten – überall fand meine Generation neu entstandene schlecht(er) bezahlte, oft befristete Jobs. Gleichzeitig wurde sozialpolitisch vieles erschwert. Das kollektive Empfinden: Es wurde erstmals wieder schlechter statt besser, obwohl die Gesellschaft insgesamt immer reicher geworden war. Die neuen Erfahrungen unterschieden sich von den Erzählungen unserer Eltern über deren eigene Jugend. Auch ich hatte irgendwann bundespolitisch resigniert, wodurch die Generation Z teilweise noch absurdere Bedingungen als meine Generation Y vorfinden musste. Wir hatten selbst zu viel zugeschaut.
Die Saat aus alter Salamitaktik ging auf – nur eines der vielen Beispiele: Durch Ausgliederung und Leiharbeit wurde der Flucht aus guten Kollektivverträgen Tür und Tor geöffnet. Gewerkschaftliche Organisation beschränkte sich auf Abwehrkämpfe: Bisherige Beschäftigte behielten ihre Rechte auf bestimmte Zeit und hofften die Pension noch unbeschadet zu erreichen. Wer neu in den Betrieb eintrat, fühlte sich zu Recht bestraft – während die ältere, noch berufstätige Generation für den Erhalt ihrer Positionen und Pensionen diszipliniert und großteils politisch brav blieb. Was für die herrschenden Interessensvertreter sozial verträglich klang, wurde zum Kern der Entsolidarisierung und zum Bumerang von Neid und Missgunst zwischen Generationen.
Endergebnis? Nur vermeintliches Zuckerbrot für die einen, die kalte Peitsche für meine Generation. Teile nicht und herrsche für die Generation Z. Solidarität für niemanden, schon gar nicht zwischen den Generationen. Zu schwarz gemalt? Vielleicht. Es gibt Ausnahmen, die den Mainstream, die große Tendenz, für manche in ihrer Analyse erfolgreich verschleiern.
Muss die Welt bleiben, wie sie ist?
Soziale Praxis kann die Trugbilder entnarren und die Generationen verbinden. Das setzt voraus, dass wir uns für Ungerechtigkeiten interessieren, von denen wir nur mittelbar betroffen sind. Es gibt Betroffenheiten, die wir aus Fatalismus heraus nicht wahrnehmen: Viele Forderungen des ZVPÖ zur Verbesserung der sozialen Lage sind für jüngere Generationen höchst relevant. Es ist ein riesiger Unterschied, ob die besten 15 Jahre oder eine lebenslange Durchrechnung für die Pensionshöhe herangezogen wird. Ganz unabhängig vom Geschlecht und bisherigem Lebensalter.
In meiner und der nachfolgenden Generation ist Zynismus weit verbreitet: Viele haben aufgegeben, sich damit zu beschäftigen was in dreißig oder vierzig Jahren sein wird. Wenn der Menschheit das Beste noch bevorsteht, wie es der Optimist Kay-Michael Dankl einmal formulierte, werden aber auch die Generation Y und Z eines Tages vor ihrer Pensionierung stehen. Alleine schon deshalb ist es in unser aller Interesse die Arbeit des ZVPÖ aus vollstem Herzen zu unterstützen. Vielen Dank für euren Einsatz.
Ewald Magnes (36) ist ein als Erwachsenentrainer in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätiger Sozialwissenschaftler mit Theorie- und Praxiserfahrung in der betrieblichen Interessensvertretung, der bei einschlägigen Themen mit dem ZVPÖ zusammenarbeitet.