Für den 3. Juni 2025 organisierte die Zukunftswerkstatt Gesundheitspolitik (eine Bildungsinitiative des ZVPÖ und des BdFÖ ) eine Podiumsdebatte zur Thematik der Selbstbehalte bei den Leistungen der öffentlichen Sozialversicherungen.
Der ZVPÖ lehnt Selbstbehalte generell als unsozial ab.
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Mag. Claudia Neumayer-Stickler aus dem sozialpolitischen Referat beim ÖGB und Andreas Huss, turnusgemäß derzeit Obmann im Verwaltungsrat der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), gaben zu grundsätzlichen Positionen der ArbeitnehmervertreterInnen in der Selbstverwaltung Auskunft zum Thema der Selbstbehalte und berichteten zu einigen gesundheitspolitischen Aspekten bei den letzten Regierungsverhandlungen.
Zunächst wurde der vielzitierte Steuerungsmechanismus durch das Einheben von Selbstbehalten beleuchtet. Fest steht, dass mit Selbstbehalten zwar Kosten durch verminderte Leistungserbringung minimiert werden können, bewiesen wurde aber auch, dass die Zuzahlungen einen dämpfenden Effekt auf den Leistungskonsum lediglich bei Menschen aus dem unteren Einkommensdrittel bewirken. Zudem steigt der Verwaltungsaufwand für die Administration der Selbstbehalte. Dadurch resultiert in manchen Fällen lediglich ein Nullsummenspiel für die Kassen.
Andreas Huss berichtete, dass die Aufhebung von Selbstbehalten bei Krankentransporten 2018 bei der ÖGK zu einer „enormen Überbeanspruchung auf Kosten der Krankenkassen" geführt hat.
Deshalb sollen künftig „Auswüchse" in diesem Bereich, wieder mit Selbstbehalt belastet werden, so der oberste Versichertenvertreter für die ArbeiterInnen. Generell werden diese nunmehr begrenzt auf die Höhe von 28 Verrechnungsfällen pro Jahr. Ausnahmen für Akutfälle, chronisch Kranke und Kinder unter 15 Jahren sind vorgesehen.
Generell führen Selbstbehalte aber bei ärmeren Menschen zu einer strukturellen Zugangsbeschränkung bei bedeutenden Versorgungsleistungen. Das ist aus Vorsorgeüberlegungen eindeutig kontraproduktiv. Ein solidarisches Versorgungssystem, so die VertreterInnen aus ÖGB und ÖGK unisono, hat jedenfalls Unterversorgung mit medizinisch notwendigen Leistungen zu verhindern.
Die Einführung von Selbstbehalten bei radiologischen Untersuchungen – vom VP-Wirtschaftsbund eingefordert - konnte in Verhandlungen abgewendet werden und zwar mit dem Argument, dass diese ein grundlegendes Glied in der Diagnosekette darstellen. Es darf nicht sein, dass ärmere Menschen bei wichtigen früh-erkennenden Leistungen strukturell benachteiligt werden, so Huss. Vielmehr soll der Fokus auf die Entscheidungsfindung beim zuweisenden Personal gelegt werden,
Aber nicht jedes schmerzende Knie müsse mit einer Wunsch-MR untersucht werden.
Intelligente und solidarische Reformschritte werden verhindert
Der Anteil an den Einnahmen der ÖGK aus Selbstbehalten mit derzeit rund 3% bleibt gering im Vergleich zu den horrenden Budgetnöten bei der ÖGK, die seit der „Reform“ von TÜRKIS-BLAU 2018 verursacht wurden. Die stupide Anhebung der E-Card-Gebühr auf €200 pro Jahr, wiederum von den NEOS in den Verhandlungen eingefordert, ist unsozial und hat mit einer Treffsicherheit, wie so oft von den PINKEN gefordert, schon gar nichts gemein. Die Vertreter der ArbeiterInnen bei den selbstverwalteten Kassen verfolgen, so Andreas Huss, eine intelligentere Strategie, um die Finanzierung der ÖGK solidarischer abzusichern. Er berichtete über die schwierigen Verhandlungen mit den Vertretern von VP und NEOS zum aktuellen Regierungsprogramm. Solidarisch basierte Maßnahmen, wie die außerordentliche Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage um €1.000 für die Einkommensstarken oder die deutliche Anhebung von Zuschüssen aus dem Steuertopf an die ÖGK wurden von der „Wirtschaft“ kategorisch abgelehnt.
Die Verbesserung des öffentlichen Leistungsangebotes der Krankenkassen kann mit den Mitteln der einbehaltenen Selbstbehalte von den Versicherten ganz sicher nicht gestemmt werden. Die enormen privaten Gelder, welche ins Wahlarztwesen und in die Taschen der sonstigen privaten Player fließen, tragen dazu selbstverständlich auch nichts bei. Vielmehr steigert das lediglich den Vertrauensverlust in die öffentliche Versorgung.
Das Volumen an Budgetmitteln für die Krankenkassen, das sich aus dem Titel der Hebesätze für Seniorinnenbeiträge ergibt, soll künftig für einen Innovationsfonds im Bereich der Primärversorgung zweckgerichtet werden. Die Besetzung des Steuerungsgremiums für diesen Fonds unter dem Vorsitz der Sozialministerin ist derzeit noch nicht verhandelt.
Modernisierung der Liste der Berufserkrankungen gefordert
Selbstbehalte bei den Leistungen der AUVA gibt es nicht. Allerdings sieht Neumayer-Stickler, Vize-Obfrau im Verwaltungsrat, einen bedeutenden Nachholbedarf bei der Liste der Berufserkrankungen.
Sie betont auch, wie eminent wichtig die korrekte Dokumentation als Arbeitsunfall ist. Denn teure Unfall-Nachbehandlungen und entsprechende Heilbehelfe sind im Rahmen der AUVA-Verantwortung von Selbstbehalten befreit, während diese bei „Freizeitunfällen“ zu Zuzahlungen führen.
Insgesamt zeigt sich bei dieser Debatte, dass sich die Auseinandersetzungen zwischen den VertreterInnen der ArbeiterInnen und der sogenannten „Wirtschaft“ seit den Reformen 2018 deutlich verschärft haben. Die Zieldefinition der SV-Reform 2018 unter TÜRKIS-BLAU war definitiv, der Bevölkerung mehr privates Geld aus der Tasche zu ziehen, den privaten Versicherungsträgern KundInnen zuzutreiben und das öffentliche Versorgungssystem insgesamt zu destabilisieren.
Mittelfristig, so die Forderung des ZVPÖ, muss der Einfluss der Bosse auf der Entscheidungsebene bei der ÖGK wieder zurückgebaut werden. Die derzeitige Regierung wird das sicher nicht für die Versicherten erreichen.